Räume und ihre Falle

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In der letzten Sitzung des Offenen Bildungsnetzwerk haben wir unseren Treffpunkt geändert. Wir wollten einen anderen Raum besuchen. In diesem Fall haben wir uns statt in der Landeszentrale für politische Bildung in der Innenstadt von Freiburg in der Pestalozzi- Schule getroffen. Die Idee war es, einen anderen Ort an dem Bildung stattfindet zu besuchen und damit einen Eindruck von der Schule und der dortigen Lernumgebung zu bekommen. Zudem war das Ziel die dortigen Lehrer*innen anzusprechen und sie für einen Abend mit Barcampkonzept zu begeistern. Man muss leider zusammenfassend sagen, dass wir keine Lehrer*innen der Pestalozzischule animieren konnten, sich am Abend mit uns zu treffen und damit das Offene Bildungsnetzwerk kennenzulernen. Das war umso mehr bedauerlich, weil die Organisation einen immensen Aufwand bedeutet hatte und sich die erhoffte Wirkung nicht entfaltet hat. Dennoch kam in der Diskussion auf, dass es nicht unbedingt an dem Ort und den Räumlichkeiten liege, warum keine Lehrkraft zu uns gefunden hat. Viel mehr wurde in der Diskussion klar, dass ganz unterschiedliche Faktoren (v.a. Zeit) entscheiden, ob man sich abends noch zu einem solchen Treffen bewegt. Aus diesem Grund blieb mir aber die Frage nach dem Raum im Gedächtnis. Warum hat der Raum keine Auswirkungen auf neue Teilnehmer gehabt? Denn für Teilnehmer des Offenen Bildungswerks war ein anderer Raum eine großartige Chance eine andere Lernumgebung kennenzulernen und zu erfahren, wie eine Schule durch pädagogische Architektur das Lernen der Schüler*innen unterstützen kann. Dieser Aspekt ist meiner Meinung nach genauso wichtig, wie das Anwerben neue Teilnehmer.
Räume sind etwas Eigenartiges. Sie umgeben uns durchgehend. Wir können ihnen nicht entfliehen. Wir können uns nicht mal mehr vorstellen, wie es ohne Raum wäre. Unser Gehirn schafft es schlichtweg nicht sich etwas vorzustellen, was keinen Raum als Grundlage hat. Dies zeigt sich auch in der unterschiedlichen Nutzung des Begriffes „Raum“. So haben wir vielleicht Räume in unseren Wohnungen und Häusern, der Raum beschreibt aber auch das uns umfassende Universum. Raum kann dabei auch nicht physisch sein. Welche Räume eröffnen wir uns in der digitalen Welt? Räume sind eine essenzielle Grundlage für unser gemeinsames Zusammenleben. Umso aktueller momentan gerade der digitale Raum, der uns die Möglichkeit gibt, uns mit anderen zu verbinden. Das Internet bietet uns sprichwörtlich einen Raum in dem wir in der Zeit von „Social Distancing“ trotzdem ganz nah zueinander sein können.

Im Kontext von Bildung haben Räume in mancher Hinsicht eine fast schon hochpolitisierte, scharf diskutierte Komponente eingenommen. In Deutschland wird seit Jahren über die miserable Ausstattung von Bildungseinrichtungen jeglicher Art geklagt. Die Diskussionen werden in gefühlt regelmäßigen Turnus immer wieder neu aufgebrochen. Es wird geklagt und relativiert. Dabei wird bei genug Druck ein wenig Geld locker gemacht, um dann Klassenräume mit Materialien zuzustellen, die wiederrum nicht benutzt werden können. Gut, dass war jetzt etwas zynisch. Wir sind in Deutschland sehr erfolgreich darin unsere Klassenräume mit unterschiedlichstem Smartboards oder Whiteboards auszurüsten. Diese Maßnahmen werden dabei meist politisch effektiv in Szene gesetzt. Dann fehlt es aber ein paar Wochen später leider an Stiften für die besondere Whiteboardfläche oder die Software für das Smartboard. Und selbst wenn die Materialien und auch die Software kein Hindernis darstellen, dann besteht immer noch das Problem, dass man Lehrkräften auch erklären muss, wie diese Geräte funktionieren. In manchen Schulen beziehungsweise Bundesländern funktioniert das schon richtig gut. Sie bilden ihre Lehrkräfte fort, haben das schon in der Vergangenheit getan und sehen in der Coronakrise keine unüberwältigbare Aufgabe. An anderen Orten funktioniert das aber auch überhaupt nicht. Da wird die Nutzung diese Geräte nicht nur zur Qual für die Lehrer*innen sondern beeinträchtigt auch die Lernumgebung von Schüler*innen und damit ihren Lernerfolg. Die Hattiestudie kam beispielsweise zum Ergebnis, dass die materielle Ausstattung gar nicht so viel Einfluss auf den Lernerfolg hat. Die Ursachen für die Probleme mit den materiellen Komponenten von Klassenzimmern sind gleichzeitig komplex und die Lösung umso einfacher. Wie wir das an unseren (nord-)europäischen Nachbarn sehen können.
Was sich hierbei in diesem kleinen Exkurs zeigt ist, wie kontrovers ein Raum sein kann und wie materialistisch er betrachtet wird. Man kann aber auch noch eine andere Frage stellen. Welchen Raum lassen wir unseren Gedanken und Ideen? Was sind die immateriellen Kompenten von Räumen? In der sozialwissenschaftlichen Forschung wird im Umgang mit dem Raum vor der Raumfalle gewarnt. „In die Raumfalle tappt, wer annimmt, die materielle Wirklichkeit bestimme das Handeln stärker als die in materiellen Räumen gelebten sozialen Praktiken.“ (Ebner von Eschenbach & Mattern, 2019, S.1). Was bedeutet das nun für jemanden im Bildungsbereich? Theoretisch kann Lernen überall stattfinden. So kann das einmal eins vielleicht genauso gut im Garten einer Grundschule erklärt werden wie im Klassenzimmer. Vielleicht lernt man die Redoxreaktion eher mit einem Video, dass man anhalten kann und Fragen in ein Chatforum stellt, die dann diskutiert werden können.

Die Frage ist doch aber eher, wo kann Lernen am effektivsten stattfinden und wie kann der Raum Schüler*innen am besten unterstützen. Wenn man nicht in die Raumfalle tappen will, dann fragt man nicht danach, welche Gegenstände unabdingbar für den Erfolg des Unterrichts sind. Man stellt keine Maxime auf und behauptet, dass ohne bestimmte materielle Dinge kein Unterricht möglich ist. Natürlich ist klar, dass im Winter ein beheizter Raum wichtig für das Lernen ist. Die Frage, die man aber hierbei stellt, ist eher, wie kann der materielle (und auch digitale) Raum das Lernen effektiv unterstützen. Wie kann die Räumlichkeit neue Erfahrungsmöglichkeiten bieten und somit eine Lernumgebung entwickeln, die das Lernen wirklich unterstützt?

Was bedeutet das nun für das Offene Bildungsnetzwerk? Zum einen sollten wir dem Raum nicht zu viel Verantwortung zusprechen. Aber ihn komplett zu ignorieren wäre auch nicht richtig. In einer modernen Mensa zu sitzen und die Gegenstände und Möbel anzufassen bietet eine ganz andere Lernerfahrung als Bilder davon zu sehen. Diese Lernerfahrung bleibt auch viel besser im Gedächtnis. So ist es nicht schlecht für diese Lernerfahrungen unserer Teilnehmer die Räume zu wechseln. Doch für den immateriellen, geistigen Austausch, der in dem Konzept der Barcamps passiert, ist der Raum relativ irrelevant. Im Sommer könnten wir ein Barcamp auch im Park machen. Und es würden bestimmt trotzdem großartige Diskussionen und Ideen entstehen. Ich versuche hier eine mögliche Antwort aufzuzeigen, warum unser Wechsel in einen anderen Ort nicht unbedingt neue Mitglieder angelockt hat. An dieser Aufgabe konnte der Raum nicht unterstützend eingesetzt werden. Doch trotzdem war der Raumwechsel für mich persönlich eine schöne Lernerfahrung, die ich so in unserem eigentlichen Treffpunkt nicht hätte haben können.


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