Das Leben danach – von Alexander

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Es hat schon etwas Seltsames, wenn die Schulzeit zu Ende ist. Die Schule gibt einem eine Struktur, einen geregelten Alltag, und mir als Schüler eine klare Aufgabe. Wenn die Schule aber vorbei ist, verschwindet diese Struktur. Auf einmal konnte ich frei entscheiden wie ich meine Zeit verbringen wollte. Kein Stundenplan, keine anstehenden Prüfungen haben mehr etwas vorgeschrieben. Das hatte etwas Befreiendes und ich habe mich auch frei gefühlt, aber ich habe auch festgestellt, dass ich so eine Situation nicht gewohnt war. Ich war die Unsicherheit nicht gewohnt, die die Freiheit mit sich bringt und die Fragen, die daraus entstehen. Was mache ich nun mit der neugewonnenen Zeit? Wohin soll es für mich gehen? Wohin und was will ich überhaupt machen? Plötzlich war ich derjenige, der diese Fragen beantworten musste. Das war schwieriger als man denken könnte, wenn man annimmt, dass es nur eine richtige Antwort geben kann. Es hatte etwas sehr Unbefriedigendes keine Antworten auf meine Fragen zu wissen. Wenn man Fragen zu einem Fach hat, dann kann man ein Buch aufschlagen oder eine Lehrperson fragen. Man bekommt meist eine zufriedenstellende Antwort oder zu mindestens eine Antwort, die als Orientierung dienen kann. Doch wo schlage ich nach, wenn die Fragen nur mich selbst betreffen? Das Problem bei Fragen, die nur die eigene Person betreffen ist die Referenz. Man kann sich nur Selbst als Referenz nehmen. Ich habe als Solches nicht viel getaugt. Ich bin nämlich der Vorstellung verfallen, dass ich einen konkreten Plan im Vorfeld haben müsste, um zielgerichtet agieren zu können. Doch wie formuliere ich Ziele, wenn ich nicht weiß was ich will? Oder zu mindestens es nicht mehr wusste.

Eigentlich hatte ich einen simplen Plan nach dem Abitur: Ich werde Arzt, denn das war insgeheim mein Traum. Zwar hatte ich nicht den Abischnitt dafür, um eine sofortige Unizulassung zu bekommen, aber etwas anderes zu studieren konnte ich mir nicht mal ansatzweise vorstellen. Ich war überzeugt von meiner Wahl: Wenn es nicht sofort funktioniert, dann warte ich halt bis es klappt. Also habe ich nach der Schule ein FSJ drangehangen. In diesem FSJ habe ich langsam angefangen meinen Traum vom Arzt sein zu verlieren. Allgemein war das FSJ eine sehr bereichernde Erfahrung über das ich Stunden philosophieren könnte, aber es hat mir auch aufgezeigt, dass meine Vorstellung vom Arzt sein zu idealistisch war. Nicht alle Ärzte erledigen ihre Arbeit mit Begeisterung, manchmal geht das Wesentliche – der Patient – in dem Chaos aus den anhäufenden Aufgaben, Zeitdruck, Stress und mangelnder Organisation unter. In diesem Typus von Arzt, so schwer es mir fiel es zu zugegeben, habe ich mich wiedergesehen. Ich konnte die Möglichkeit nicht ausschließen solch ein Arzt zu werden und diesen Preis wollte ich nicht zahlen. Ich wollte Arzt werden, weil ich Menschen helfen wollte. Ich wollte mich um die Menschen kümmern, ihre Krankheiten erkennen und bestmöglich behandeln. Das ich dieses Ziel aus dem Blick verlieren könnte; dieses Risiko war ich nicht bereit einzugehen. So fing es an, dass ich langsam meinen Traum verloren habe. Das war auch der Beginn als ich nicht mehr wusste, was ich wollte.

Alles was ich wollte, hat sich um den Wunsch gedreht Arzt zu werden und dieser Wunsch begann zu bröckeln. Außerdem wurde es gar nicht so leicht so ein Wunsch loszulassen, wenn die Menschen im Umfeld meinen man wird ein großartiger Arzt und es würde zu einem passen, aber die Zweifel daran in einem Selbst immer größer wurden. Wenn andere Menschen mich bereits in dieser Rolle sehen, dann darf ich sie nicht enttäuschen; vielleicht haben die anderen Recht und ich liege falsch. Ein Mix aus Unsicherheit und sozialem Druck füllte die Stelle wo einst mal meine feste Überzeugung war Arzt zu werden. Das waren keine guten Voraussetzungen, um eigenständige und gute Entscheidungen zu treffen. Schließlich habe ich angefangen Mathematik zu studieren. Das war eine pure rationale Entscheidung, denn ich konnte mich auf mein Gefühl nicht verlassen. Mein innere Welt glich einem emotionalen Schlachtfeld, ich konnte nichts Vernünftiges daraus ziehen. Zudem habe ich das Mathestudium auch wegen meiner Mutter angefangen. Ich konnte wenigstens eine Person damit glücklich machen – meine Mutter. Sie drängte auf eine Entscheidung, denn sie sah, dass ich mich nicht entscheiden konnte; ich glaube Sie war in Sorge, dass aus mir nichts wird. Meine Hoffnung war eher, dass ich durchs Studium meine Freude am Lernen wieder empfinden könnte. Zwar habe ich im FSJ gemerkt, dass ich das Lernen sehr vermisst habe nachdem meine Aufgaben im FSJ zur Routine geworden ist, aber ich habe auch kein Weg gefunden wie das Lernen wieder Freude macht. Da ich Mathe in der Schule mochte war es für mich die naheliegendste Lösung Mathe zu studieren.

Die Entscheidung hat sich schnell als Irrtum herausgestellt. Spätestens in der zweiten Woche merkte ich, dass ich mich falsch entschieden habe, aber es dauerte ein ganzes Semester bis ich das Mathestudium erfolgreich abgebrochen habe. Ich war der Meinung gewesen, wenn man sich für etwas entscheidet, dann muss man das auch durchziehen. Schließlich habe ich über die Entscheidung lange gegrübelt und war zu stolz mir einzugestehen, dass ich falsch lag. Ich hätte mir viel Frust, Ärger und Kummer erspart, wenn ich ehrlich zu mir gewesen wäre. Aber e war einfacher mit der falschen Entscheidung weiterzuleben als diese zu akzeptieren und zu korrigieren. Das Eingestehen hätte nämlich bedeutet, dass ich mich dem Gefühl der Unsicherheit aussetzen musste. Dieses Gefühl war für mich manchmal schwer zu ertragen, denn es beinhaltet die erneute Suche nach Antworten auf Fragen, die keine richtigen und falschen Antworten kennen. Es war einfacher in eine bereits eingeschlagene Richtung zu gehen. Jedoch wurde ich immer unglücklicher, unkonzentrierter und energieloser, dass meine Apathie sogar meiner Familie und Freunden aufgefallen ist. Erst dann habe ich den Mut gefasst, dass Mathestudium zu schmeißen. Als ich es tat war es eine enorme Erleichterung.

Drei Jahre brauchte ich, um nach meinem Abitur in Freiburg zu landen. Wenn man zynisch sein möchte, dann bin ich von einem Fehlschlag in den nächsten Fehlschlag gestolpert. Sowas macht sich richtig gut in einem Lebenslauf! Aber jeder Fehlschlag führte mich an Orte, an denen ich lernen konnte. Es war zwar nichts Akademisches, aber immerhin als Person. Die Absage für das Medizinstudium führte mich zum FSJ. Das FSJ hat mir klischeehafterweise beigebracht was im Leben wirklich wichtig ist. Das Mathestudium hat zum einen meine Frustrationstoleranz deutlich erhöht und zeigte mir, wie es sich anfühlt etwas zu machen, dass man eigentlich nicht will. Der Abbruch des Mathestudiums führte mich nach Vietnam für ein soziales Projekt. Die Erfahrung in Vietnam führten mich nach Freiburg. Und das Gefühl der ständigen Unsicherheit hat, paradoxerweise, mich innerlich zu einem ruhigen Menschen gemacht. Zwar weiß ich immer noch nicht was ich genau will, dafür aber die Zuversicht gewonnen, dass alles irgendwie am Ende gut wird. Es hat vielleicht auch etwas Beruhigendes kein klares Ziel zu besitzen. So lässt sich die Welt besser erkunden.

 

Alexander engagiert sich im Rahmen des Service Learning (SL) Angebots des ZfS der Uni Freiburg beim Offenen Bildungsnetzwerk. Dies ist sein zweiter Artikel mit einer persönlichen Reflexion.


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